Schritt 6: Unbewusster aktueller Konflikt

Wenn unter dem Druck eines aktuellen Auslösers eine frühere Erinnerungsspur eines ungelösten verdrängten, also »schlummernden« Grundkonflikts wachgerufen wird (…), dann sprechen wir von einem aktuell wirksamen unbewussten Konflikt (AWUK). Der AWUK ist also die Reaktualisierung des Grundkonflikts.1


Bevor ich den AWUK in der Sprache der Selbstpsychologie formuliere, schreibe ich die Dynamik des aktuell wirksamen unbewussten Konflikts erst einmal hier so auf, wie ihn auch meine Gitarre verstehen würde:

Mit dem Verlust von H.M. fehlt der Gitarre ein Gegenüber, durch das sie sich gesehen und geliebt fühlt. In ihrem ganzen Leben war H.M. der/die erste und einzige Mensch der sie so angenommen hat, wie sie ist. Und dabei fühlte sie sich gesehen und erlebte sich zum ersten mal auch als kreatives Instrument.

Der Verlust macht die Gitarre so wütend, dass sie sich vor sich selbst erschreckt. Aus Angst sich oder andere zu verletzen, zieht sie sich lieber ganz zurück.

Als Folge fühlt sie sich alleine und depressiv. Denn der Rückzug ist keine Lösung auf lange Sicht, sondern nur ein Schutz für den Moment. Die Wut sollte die Gitarre lieber konstruktiv nutzen und entgegen aller Angst auf andere Menschen zugehen. Doch fehlt ihr das Selbstbewusstsein, weshalb sie sich lieber versteckt als enttäuscht zu werden. Denn eine weitere Enttäuschung könnte sie nicht aushalten.

Und jetzt in den Worten, wie ich sie in einen Bericht schreiben würde.

Der aktuell wirksame unbewusste Konflikt

Durch den Verlust von H.M. wird die Gitarre in ihrem Bedürfnis nach resonanter liebevoller Spiegelung und Bestätigung frustriert. Der verlorene Partner war in der Lebensgeschichte der Gitarre das einzige empathische Objekt, das ihr Bedürfnis erfüllte, in ihrer Existenz gesehen und darin wertvoll zu sein, sowie dem Bedürfnis nach kreativem Selbstausdruck Raum zu geben.

Die Aggression und Wut als Reaktion auf die frustrierende Objekterfahrung erlebt die Gitarre als so bedrohlich, dass sie sich zurückzieht, um diese Wut nicht gegen sich oder andere zu richten.

Die daraus resultierende Depression als Symptom löst den Wunsch nach Identität (unbewusstes verdrängtes Selbstobjektbedürfnis) nur kompromisshaft, indem die Energie der erlebten Aggression nicht konstruktiv genutzt wird - z.B. Partnersuche. Stattdessen kommt die Gitarre der möglichen Enttäuschung durch Menschen durch den umfänglichen Rückzug “prophylaktisch” zuvor.


  1. Jungclaussen (2018: 200)↩︎